Erinnerung

Ich werde mich immer daran erinnern…

 

dass ich mit neun Jahren zur Kur geschickt wurde, weil ich immer so blass und dünn war und vier endlose Wochen lang unstillbares Heimweh aushalten musste.
dass ich mit meinem Bruder ein Kinderzimmer und manche Nacht sogar ein Bett geteilt habe und wie ich diese Nähe genoss, dazu unsere Gedanken und unser Kichern kurz vorm Einschlafen.
an die Sommerferientage in unserem Schrebergarten und auf dem Hof meiner Großeltern und das Gefühl von unendlich viel Zeit und Freiheit.
an meine Mutter, die bei der Hausarbeit das Radio auf ,Bayern1‘ stellte und alle Schlager mit trällerte und an ihr kleines Königreich: ein Laden voller Bücher.
an den ersten Kuss mit acht Jahren im Garten hinter der kleinen Kapelle.
dass mein Opa abends beim Fernsehen die gute West-Schokolade aus dem Schrank holte und mit mir teilte.
an die Novembernacht in der die Mauer fiel und ich in den Wochen danach langsam zu begreifen begann, was das für mein weiteres Leben bedeuten würde.
dass meine Abiklausur im Fach Deutsch die Beste meines Jahrgangs war und mir meine Lehrerin stolz die Hand drückte.
dass meine Mutter mehrere Wochen im Koma auf der Intensivstation lag und nicht hören konnte wie ich ihr zuflüsterte: „Mama, ich hab’ das Abi geschafft.“
an meine erste eigene kleine Wohnung und den ersten Abend ganz allein.
an den Moment, als sich meine Augen und die blitzblauen, lachenden Augen meines Mannes das erste Mal trafen und ich sofort dachte: „Der ist besonders“.
dass meine Chefin mir zehn Tage lang ihr Ferienhaus in Dänemark überließ – völlig umsonst.
an die Schlange von hundert Bewerbern um einen Studienplatz an der Musikhochschule und ich mit zehn weiteren Studenten ausgesucht wurde.
an die grenzenlose Erleichterung und die wahnsinnige Liebe die mein Herz durchflutete, als mir meine drei Kinder, knautschig und warm, das erste Mal auf die Brust gelegt wurden.
an den Tag, an dem ich beim dritten Versuch endlich die praktische Führerscheinprüfung bestanden hatte.
an die Nachricht einer Kundin, die mir schrieb, wie wohltuend und hilfreich das Sprechtraining bei mir war.
an Sonnenaufgangswanderungen in den Bergen und Sonnenuntergänge am Meer und dass wir nichts vermissten und nur dachten: „So wie es ist, ist es einfach nur gut.“.
an die vielen Briefe, Karten und E-Mails die mein Vater mir in den letzten zwanzig Jahren schrieb und an die Päckchen die er bis heute für uns packt.
an das pure Glück, wenn ich nachts, wenn alle schlafen, noch einmal an die Betten der Kinder trete und nicht fassen kann, dass ich so reich beschenkt bin.

 

Und immer daran:

Dass mein Hier und Heute nicht alles ist, was zählt.

Dass es auch mal gut ist, im Dort und Damals zu leben.

In den guten Erinnerungen und Erfahrungen.

Oder in den schönen Träumen von morgen.

Dass das Klein-Klein des heutigen Tages nur ein Ausschnitt des Ganzen ist.

Dass hinter meinem Leben ein Gedanke steht und ein Ziel.

Dass mein Leben nicht nur vorübergehend ist sondern ewig.

 

Und immer wieder daran:

Dass ich gewollt bin.

Dass ich geliebt bin.

Dass ich genug bin.

Dass ich nicht werden muss, sondern schon bin.

Und du auch.

 

Und du auch.

Foto: unsplash | Annie Spratt

 

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