Abschied

Gestern wurde in unserer Straße der Sperrmüll abgeholt.

Wir nutzen die Gelegenheit, um im Keller und im Schuppen Platz zu schaffen.

Es sammelt sich über die Familienjahre so Vieles an.

Die Kinder wachsen, doch das Haus wächst nicht mit.

Wir müssen uns von einigen Dingen einfach trennen.

Mit der Zeit entstehen verschiedene Stapel:

Kann auf die Straße zum Abholen.

Können wir noch verschenken.

Kommt auf den nächsten Flohmarkt zum günstigen Weiterverkauf.

Die verschiedenen Dinge wandern durch meine Hände.

Mit jedem Stück werden plötzlich Erinnerungen wach:

Die Bausteine, die uns eine nette Nachbarin damals in Oberschwaben vor die Tür gestellt hat.

Die vielen Martinslaternen, die die Kinder an dunklen Novemberabenden durch die Straßen unserer Siedlung getragen haben.

Das Paar Schuhe, die mein Sohn unbedingt wollte und die, kaum gekauft, schon bald wieder zu klein waren.

Das Stofftier, das Papa der Großen mal von einer Dienstreise mitgebracht hat.

Das kleine Fahrrad, auf dem alle drei Kinder in Schlangenlinien das Radfahren gelernt haben.

Das Bilderbuch, das, gefühlt tausendmal vorgelesen uns immer auf´s Neue verzaubert und uns kostbare gemeinsame Minuten geschenkt hat.

Ich bin in Gedanken und sortiere.

In leise Wehmut mischt sich Dankbarkeit für alles, was war.

Dankbarkeit, für alles, was gerade ist.

Dankbarkeit für alles, was noch kommt.

Bemerke dabei meine Tochter gar nicht, die mit großen Augen auf das Durcheinander starrt.

Plötzlich schnappt sie sich in Windeseile ein aussortiertes Stofftier, eine uralte Babymütze und ein Spielzeug und rennt schluchzend in ihr Zimmer.

Die Tür knallt.

Minuten später sitze ich neben ihr auf ihrem Bett und verstehe:

Dass sie mit ihren zwölf Jahren zwischen den Stühlen sitzt.

Nicht so recht weiß, wohin mit sich.

Irgendwie in der Luft hängt.

Für Vieles zu groß und für Einiges noch zu klein.

Und vielleicht deshalb gerade richtig.

Kommen die Spielsachen weg, ist das ein Schritt, an dem sie sich wieder einmal von etwas verabschieden muss.

Es schmerzt, dass es Zeit zum Loslassen ist.

Zum Gehenlassen.

Es war nicht ihr Tempo in dem ich geräumt und sortiert habe.

Es war meines.

Sie ist anders unterwegs. .

Auf dem Weg des Wachsens, der Reife.

Hin zum Großwerden.

Nein, ich glaube, ein paar Dinge müssen doch noch bleiben.

Müssen noch eine Weile gehalten, erinnert, betrauert und umarmt werden.

Bis auch davon Abschied genommen werden kann.

Bis das Herz bereit ist zu akzeptieren, was der Verstand längst weiß:

Dass die Zeit der kleinen Hände, die in bunten Bausteinkisten wühlen, vorbei ist.


Und zwar endg
ültig.

 

Foto: unsplash | Nik Shuliahin

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Auf der Suche nach allem Wahren, Guten & Schönem in diesem und im nächsten Leben.

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